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Neueste Entwicklungen bei den Voraussetzungen zur Verrechnungssteuerrückerstattung

28.11.2024

Das Bundesgericht hat mit seinem Entscheid BGer 9C_635/2023 vom 3. Oktober 2024 bei der Prüfung der Rückerstattungsvoraussetzungen im Zusammenhang mit Finanzprodukten den Fokus von einer Nutzungsberechtigungs- zu einer Missbrauchsprüfung verlagert und damit einen von der Finanzbranche langersehnten und unsererseits stets propagierten Paradigmenwechsel eingeläutet.

1. Sachverhalt

Dem Bundesgerichtsurteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Ein dänisches Kreditinstitut hat im Sekundärmarkt ausserbörslich (over the counter) mehrere Pakete von festverzinslichen Bundesanleihen erworben. Gleichzeitig schloss das Kreditinstitut sog. Cross-Currency Interest Rate Swaps ab, deren Laufzeit exakt mit der Restlaufzeit der Bundesanleihen übereinstimmte. Unter den Swaps erhielt das Kreditinstitut den Nominalwert der Bundesanleihen plus eine Aufschlagszahlung, bestehend aus der Differenz zwischen Markt- und Nominalwert der Bundesanleihen sowie dem Marchzins. Die unter dem Swap erhaltenen CHF wurden zum gleichen Zinssatz wie derjenige der Bundesanleihen verzinst. Als Gegenleistung bezahlte das Kreditinstitut unter dem Swap das USD-Äquivalent des Nominalwertes der Bundesanleihen, worauf es einen variablen USD-Libor-Zins zuzüglich eines Spreads erhielt. Letztlich war das Kreditinstitut dadurch gegen Währungsschwankungen des CHF gegenüber dem USD sowie gegen Zinssatzänderungen vollständig abgesichert. Das Kreditinstitut trug lediglich das Ausfallrisiko an den Bundesanleihen.

Die vom Kreditinstitut beantragte Rückerstattung der Verrechnungssteuer auf den Zinszahlungen der Bundesanleihen wurde abgelehnt. Die ESTV argumentierte, dass das beschriebene Arrangement zur einer schädlichen Weiterleitung der Zinszahlungen unter der Bundesanleihen an die Swap-Gegenparteien führt. Diese Sichtweise wurde vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Es wurde insbesondere argumentiert, dass das Kreditinstitut keine nennenswerte Risiken trug, da das Ausfallrisiko aufgrund der Mündelsicherheit der Schweizerischen Eidgenossenschaft lediglich theoretischer Natur ist. Entsprechend wurde die unter dem Konzept der doppelten Interdependenz zu prüfende zweite Abhängigkeit mangels Risikotragung bejaht und damit letztlich die Nutzungsberechtigung verneint.

2. Bundesgerichtsentscheid

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes wurde nun durch das Bundesgericht korrigiert. Relevant sind dabei folgende Aspekte:

Das Konzept der doppelten Interdependenz wurde (endgültig) zu Grabe getragen. Für die Beurteilung der Nutzungsberechtigung ist lediglich noch die zweite Abhängigkeit entscheidend. Eine schädliche Weiterleitung kann nur noch dann vorliegen, wenn die weiterzuleitende Zahlung zumindest in ihrer Höhe davon abhängt, ob die verrechnungssteuerbelasteten Einkünfte erzielt werden. Damit steht die Risikotragung im Vordergrund. Selbst wenn die wesentlichen Zinsänderungs-, Währungs- bzw. Wechselkurs- sowie andere Marktrisiken vollständig abgesichert werden und bloss noch ein (aufgrund der Mündelsicherheit) theoretisches Ausfall- und Kreditrisiko getragen wird, reicht dies aus, um eine schädliche Weiterleitung zu verneinen und damit die Nutzungsberechtigung zu bejahen. Mit anderen Worten: Werden Risiken getragen, ist die Nutzungsberechtigung zu bejahen.

Bei gegebener Nutzungsberechtigung verbleibt ein allfälliger Abkommensmissbrauch zu prüfen. Das Bundesgericht hat festgehalten, dass ein Abkommensmissbrauch nur zurückhaltend angenommen werden darf. Zudem muss diejenige Partei, die sich auf den Abkommensmissbrauch beruft, dessen Voraussetzungen beweisen. Schliesslich unterliegt eine Abkommensmissbrauchsprüfung im internationalen Verhältnis dem Grundsatz von Treu und Glauben und hat daher nach dem gleichen Massstab zu erfolgen, wie eine innerstaatliche bzw. nationale Anti-Missbrauchsprüfung. Deshalb ist eine Steuerumgehung zu prüfen. Eine solche liegt vor, wenn kumulativ (i) ein ungewöhnliches, sachwidriges oder absonderliches Vorgehen gewählt wird, welches unter den wirtschaftlichen Gegebenheiten als völlig unangemessen erscheint; (ii) sich dieses Vorgehen einzig mit der Absicht der Steuerersparnis erklären lässt; und (iii) das ungewöhnliche Vorgehen auch tatsächlich zu einer Steuerersparnis führen würde.

2. Konsequenzen

Bei der Prüfung der Rückerstattungsvoraussetzungen im Zusammenhang mit Finanzprodukten stehen – sofern eine Risikotragung und damit die Nutzungsberechtigung gegeben ist – ab sofort die Ungewöhnlichkeit der Gestaltung und die Steuerumgehungsabsicht im Zentrum. Gemäss Bundesgericht sind diese Merkmale unter Zuhilfenahme eines Finanzexperten und damit aus dem Blickwinkel der Finanzindustrie zu beurteilen. Stellt sich dabei heraus, dass eine wirtschaftlich sinnvolle Transaktion vorliegt, ist eine Steuerumgehung ausgeschlossen und die Verrechnungssteuer zurückzuerstatten. Aus dem gleichen Grund sollten Rückerstattungen in Zusammenhang mit Retail Produkten unter dem Gesichtspunkt der Steuerumgehung ab sofort unproblematisch sein.

Der Bundesgerichtsentscheid ist auch auf dividendentragende Titel zu übertragen, da die Rückerstattungsvoraussetzungen im internationalen Verhältnis unabhängig von der Art der verrechnungssteuerbelasteten Einkünften identisch sind. Ebenso muss diese Praxis auch auf nationale Verhältnisse übertragen werden, da hier analoge Rückerstattungsvoraussetzungen gelten.

Trotz des klaren Bundesgerichtsurteils ist zu erwarten, dass geltend gemachte Verrechnungssteuerrückerstattungen weiterhin nur zögerlich oder nicht gutgeheissen werden. Daher sind offene Rückerstattungsanträge unter der jüngsten bundesgerichtlichen Rechtsprechung neu zu beurteilen und gegebenenfalls entsprechende Massnahmen zu treffen.

 

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